Nürnberg, den 7. Juni 2009
von Hans-Jürgen Graf
was könnte sich für Behinderte ändern?
seit dem 26.03.2009 ist die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen auch für das Staatsgebiet Deutschlands in Kraft getreten. Was könnte sich nun für behinderte Menschen in Deutschland verändern? Sie, lieber Leser, meinen „gar nichts“? Nun, so direkt möchte ich Ihnen da gar nicht widersprechen. Denn betrachtet man alleine die Behandlung behinderter Menschen im Sozialgesetzbuch II (Hartz IV), dann wird einem eher ein deutlicher Rückschritt offenbar, als wenigstens die Einhaltung bisher bereits erreichter Regelungen im Rahmen der immer wieder offen propagierten Integration behinderter Menschen.
Aber, es liegt nicht allein am Verhalten der Politik, am Gesetzgebungsverfahren der Legislative oder der immer noch weitreichend vorhandenen Skepsis der Arbeitgeber gegenüber der Schaffung von individuell eingerichteten Behindertenarbeitsplätzen. Es liegt im Wesentlichen auch an uns selbst. An unserer Durchsetzungskraft als Einzelner und in den Vertretungsorganen der Behinderten, an unserem Mut sich den Problematiken und langen Bearbeitungszeiträumen zu stellen und an unserer ureigenen Geduld. Hier fehlt es vielen von uns und das ist äußerst verständlich in einer Umwelt, die dem Einzelnen oft kaum die Möglichkeit des Rastens lässt. Hier ist sehr schnell eine allumfassende Müdigkeit präsent, die fortschreitend immer weiter zu einer Starre führt. Einer Starre, die uns letztlich nicht mehr die Chance gibt die Kraft für Veränderungen aufzubringen. Aber um dies zu verhindern oder möglicherweise wieder rückgängig zu machen, sollten wir endlich wieder einmal gemeinsam etwas angehen. Gemeinsam die Durchsetzung der in der Konvention beschriebenen Rechte der Behinderten zu fordern und herbei zu führen.
Die Präambel, also das „Vorwort“ der Konvention, umfasst schon alleine drei Seiten in denen die Vereinten Nationen ausdrücken möchten warum es notwendig ist, für alle angeschlossenen Staaten im Verbund, eine solche Konvention zu erstellen und letztlich im jeweiligen Land zu etablieren. Den Vereinten Nationen blieb es nicht unbemerkt, dass in einem nicht unerheblichen Teil der ihnen angeschlossenen Staaten die Verwirklichung der Menschenrechte und in der Verbindung damit auch die Rechte behinderter Menschen, zu Wünschen übrig lässt. Die vielfach von Politik und anderen Gesellschaftsbereichen immer wieder zu geeigneten Zeitpunkten heraufbeschworene und gleich einer Maske vor das eigene Antlitz gestellte Integration wollte bisher nur in wenigen Teilen wirklich klappen. Mein Lieblingsthema ist hier ja der öffentliche Personennahverkehr und die Bahn AG. Was hier schon an die jeweiligen Betreiber an Beschwerden, Vorschlägen und Protesten herangetragen wurde ist beispielhaft in der Geschichte der B.R.D. Sehen Sie sich doch mal in den Bussen, Straßenbahnen und Zügen um und beantworten Sie sich selbst die Frage: „Was hat sich bisher großartig verändert?“
Ich selbst habe vor über 2 Jahren einen ausgearbeiteten Vorschlag für eine Plakataktion zur erneuten Sensibilisierung der Fahrgäste der VGN Nürnberg und der Bahn dort eingebracht, weil ich als Schwerbehinderter selbst immer wieder erleben muss, dass es die anderen Fahrgäste zum großen Teil einen feuchten Dreck interessiert ob man sich, trotz sichtbarer Gehbehinderung, auf den Beinen halten kann oder nicht. Sie räumen ihren Plätze nicht. Fragt man an, bekommt man entweder nur ein grantiges Murmeln zu hören und der- oder diejenige räumt dann missmutig seinen Platz oder es kann einem blühen, dass man durchaus eine sehr freche Antwort bekommt. Auch die Mitarbeiter der genannten Betriebe sind hier nicht wirklich hilfsbereit. Sie stehen daneben, wenn behinderte Menschen sich gegenseitig stützen weil die Plätze auf den Bahnsteigen von Nichtbehinderten besetzt sind, und diese trotz Anfrage keine Anstalten machen ihre Plätze für die Gehandicapten frei zu machen. Auch Busfahrer steuern ihr Transportmittel nicht besonders behindertenfreundlich, obwohl sie sehen dass im Fahrgastraum Menschen mit Gehhilfen stehen. Das Unangenehmste war ein Ereignis, bei dem eine offensichtlich behinderte und zudem schwerkranke Dame vom Busfahrer nicht vorne rausgelassen wurde, sondern durch den ganzen Bus nach hinten laufen musste um dort auszusteigen.
Nun möchte ich noch, bevor ich auf die Inhalte der Konvention eingehe, uns ein wenig ins Gedächtnis rufen welche „Besonderheiten“ es im Umgang mit behinderten Menschen von gesetzlicher Seite bereits hier in Deutschland gibt. Ich betone hier die gesetzliche Seite, denn die Realität sieht vielfach anders aus. Diese Übersicht ist sicherlich nicht vollständig, da sie die individuellen Gegebenheiten des Einzelnen gar nicht berücksichtigen kann.
In Deutschland gibt es seit vielen Jahren eine sogenannte „Schwerbehindertenabgabe“ für Betriebe, die ihr Soll an schwerbehinderten Mitarbeitern nicht erfüllen. Hierzu gibt es folgende Informationen.
Die Ausgleichsabgabe, auch als Schwerbehindertenabgabe bezeichnet, ist eine Abgabe in Deutschland, die zu entrichten ist, wenn ein Betrieb nicht die im SGB IX gesetzlich vorgeschriebene Zahl von Schwerbehinderten beschäftigt.
Gemäß Neuntes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB IX) Teil 2 Kapitel 2 Beschäftigungspflicht ist die Abgabe sowohl von privaten als auch von Arbeitgebern der öffentlichen Hand ab einer Betriebsgröße von 20 Mitarbeitern zu entrichten wenn nicht mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Mitarbeitern besetzt sind.
Die Höhe der Ausgleichsabgabe beträgt gemäß § 77 SGB IX je Monat und unbesetztem Pflichtplatz:
* 105 Euro bei einer Beschäftigungsquote ab 3% bis unter 5%
* 180 Euro bei einer Beschäftigungsquote ab 2% bis unter 3%
* 260 Euro bei einer Beschäftigungsquote unter 2%
Ausnahmen bzw. besondere Regelungen existieren für kleinere Betriebe mit weniger als 60 Beschäftigten: Unternehmen mit weniger als 40 Arbeitsplätzen müssen einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, andernfalls zahlen sie je Monat weiterhin 105 Euro. Unternehmen mit weniger als 60 Arbeitsplätzen müssen 2 Pflichtplätze besetzen; sie zahlen 105 Euro, wenn sie nur 1 Pflichtplatz besetzen, und 180 Euro, wenn sie keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen.
Die Ausgleichsabgabe soll einen gerechten Ausgleich gegenüber den Arbeitgebern schaffen, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen und denen daraus, z.B. durch den gesetzlichen Zusatzurlaub und die behinderungsgerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes, erhöhte Kosten entstehen. Darüber hinaus soll die Ausgleichsabgabe Arbeitgeber anhalten, ihre Beschäftigungspflicht zu erfüllen.
Aus der Ausgleichsabgabe, die an das Integrationsamt entrichtet wird, werden hauptsächlich Hilfen für schwerbehinderte Menschen am Arbeitsplatz und Arbeitgeber, denen durch die Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen höhere Kosten entstehen, finanziert.
Die Ausgleichsabgabe ist jährlich zu berechnen und zu entrichten. Dies ist in den Unternehmen meist Aufgabe der Abteilung für Personalverwaltung. Die Anzeige zur Ausgleichsabgabe sowie das Namensverzeichnis der schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Beschäftigten sind jährlich vor dem 01.04. unaufgefordert bei der Agentur für Arbeit einzureichen und gleichzeitig dem Betriebsrat/Personalrat, der Schwerbehindertenvertretung sowie dem Beauftragten des Arbeitgebers in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen zu übermitteln (§ 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).
Nun, bei solchen Beträgen fällt den Arbeitgebern, besonders denen die halt mal mehr als 60 Menschen beschäftigen, die Entscheidung gegen einen schwerbehinderten Mitarbeiter doch relativ leicht. Bei einer Betriebsgröße von 500 Beschäftigten müsste ich also 25 schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Nun entscheide ich mich aber nur fünf zu beschäftigen, bleibe damit also unter 2 Prozent. Damit würden auf den Betrieb jährliche Kosten zukommen in Höhe von 62.400 Euro. Die Einrichtung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes ist von den individuellen Anforderungen abhängig die sich durch die jeweilige Behinderung oder die Behinderungen des Arbeitnehmers ergeben. Aber auf jeden Fall liegen die Kosten für die nicht besetzten Arbeitsplätze für schwerbehinderte Mitarbeiter weit unter denen die die Einrichtung aller geforderten 25 Arbeitsplätze betragen würden. Nehmen wir einen Wert pro behindertengerechtem Arbeitsplatz, der neu eingerichtet wird, an von etwa 5000 Euro einmaliger Kosten. Hier sind die Kosten für Mehrurlaub, evtl. erhöhte Krankheitstage usw. nicht eingerechnet. In diesem Fall beliefen sich dann die einmaligen Kosten für die Ersteinrichtung von weiteren 20 Arbeitsplätzen auf insgesamt 100.000 Euro. Da jedoch in den Etagen der Unternehmen ein betriebswirtschaftliches Denken der besonderen Art Einzug gehalten hat und man seit geraumer Zeit nicht mehr mit Weitsicht den Weg des Unternehmens plant sondern vielfach auf das der Betriebswirtschaft höchst eigene „Quartalsdenken“ verfallen ist, ist es schwierig den Unternehmern angesichts eines Kostenaufwandes von 100.000 Euro im Vergleich zur jährlichen Abgabe von 62.400 Euro klar zu machen, dass dies eine einmalige Investition ist die sich langfristig aber auszahlt.
Gut, es entstehen natürlich auch laufende Kosten für die schwerbehinderten Arbeitnehmer, die im Einzelfall tatsächlich weit höher liegen können als bei einem nichtbehinderten Arbeitnehmer. Auch dies sind wiederum Gründe vor der Einstellung dieses Arbeitnehmerpotentials zurück zu schrecken. Die Besonderheiten bei der Einstellung von schwerbehinderten Mitarbeitern sind folgende:
Besonderer Kündigungsschutz
Schwerbehinderte und gleichgestellte behinderte Menschen haben einen besonderen Kündigungsschutz (§§ 85 ff SGB IX). Ihnen darf ordentlich oder außerordentlich nur gekündigt werden, wenn das Integrationsamt vorher zugestimmt hat. Eine ohne Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (nichtig).
Voraussetzung für den besonderen Kündigungsschutz ist, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits länger als sechs Monate andauert. Die Kündigungsfrist beträgt dann mindestens vier Wochen (§ 86 SGB IX). Eine bestimmte Größe des Betriebs ist dagegen (anders als beim allgemeinen Kündigungsschutz) nicht erforderlich.
Die Schwerbehinderung oder die Gleichstellung muss bei Zugang der Kündigung bereits durch die zuständige Behörde festgestellt worden sein oder der entsprechende Antrag auf Anerkennung oder Gleichstellung muss bereits mindestens drei Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt worden sein (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Der besondere Kündigungsschutz besteht aber stets auch bei offensichtlicher Schwerbehinderung.
Die Unwirksamkeitsfolge tritt auch dann ein, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung nichts wusste, sofern der Gekündigte den Arbeitgeber unverzüglich über seinen Behindertenstatus oder den gestellten Antrag informiert.
Die Kündigung gilt als von Anfang an rechtswirksam, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben hat (§ 7 in Verbindung mit § 4 KSchG). Die Frist läuft aber erst ab Bekanntgabe der Entscheidung des Integrationsamtes an den Arbeitnehmer (§ 4 Satz 4 KSchG). Hat der Arbeitgeber keine Zustimmung beantragt oder erhalten, läuft die Frist also nicht.
Zusatzurlaub
Schwerbehinderte (nicht: ihnen Gleichgestellte) Menschen haben Anspruch auf bezahlten zusätzlichen Urlaub von einer Arbeitswoche, meist fünf Tage, im Kalenderjahr.
Besondere Rentenart möglich
Schwerbehinderte Menschen können die Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß § 37 SGB VI in Anspruch nehmen, wenn sie bei Beginn der Rente als schwerbehindert anerkannt sind, die Wartezeit von 35 Jahren zurückgelegt haben und die maßgebliche Altersgrenze erreicht haben. Für die Anerkennung einer Schwerbehinderung muss ein Behinderungsgrad von mindestens 50 vorliegen, eine Gleichstellung reicht nicht.
Die Altersgrenze beträgt zur Zeit noch 63 Jahre und gilt noch für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind. Für Versicherte des Geburtsjahrgangs 1952 erhöht sich die Altersgrenze auf 63 Jahre und einen Monat, sie steigt für die weiteren Jahrgänge weiter schrittweise an, bis sie für im Jahr 1964 oder später geborene 65 Jahre erreicht hat.
Es ist möglich, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen schon bis zu drei Jahre vor der jeweils maßgeblichen Altersgrenze in Anspruch zu nehmen. Die vorzeitige Inanspruchnahme führt jedoch dazu, dass sich die Rentenhöhe um bis zu 10,8 % mindert.
Für bestimmte Versicherte gelten verschiedene Vertrauenschutzregelungen (§ 236a SGB VI), die dazu führen, dass bei der vorzeitigen Rente die Abschläge entfallen. Das betrifft etwa Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind und die bereits am 16. November 2000 als schwerbehindert anerkannt waren.
Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung
Im Unterschied zur Einstellung haben schwerbehinderte und gleichgestellte behinderte Menschen aber bei bestehendem Arbeitsverhältnis einen einklagbaren Anspruch auf eine Beschäftigung, „bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können“ und daneben Ansprüche auf bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen und anderen Maßnahmen, die ihre berufliche Integration fördern. Dieser Anspruch gem. § 81 SGB IX entfällt nur, wenn die Maßnahme für den Arbeitgeber unzumutbar ist oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Dieser gesetzliche Anspruch zwingt etwa einen Arbeitgeber, soweit dies vertraglich möglich ist, im Wege des Arbeitsplatztauschs einen nicht behinderten Arbeitnehmer auf den Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu versetzen und umgekehrt, wenn der schwerbehinderte Beschäftigte an dem anderen Arbeitsplatz beruflich besser integriert werden kann, seine Arbeitskraft erhalten oder wieder erlangen kann.
Diskriminierungsverbot
Auf Grund der europäischen Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000/78/EG wurde ab 1. Juli 2001 mit § 81 Abs. 2 SGB IX a.F. und ab 18. August 2006 mit § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX n.F. in Verbindung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein Diskriminierungsverbot für schwerbehinderte Menschen geschaffen, das im Fall der Diskriminierung eines schwerbehinderten Menschen insbesondere bei Einstellung, beim beruflichen Aufstieg oder bei Kündigung einen Schadensersatzanspruch vorsieht und eine erhebliche Beweiserleichterung zugunsten der schwerbehinderten Beschäftigten (Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers, wenn Tatsachen glaubhaft gemacht werden, die eine Benachteilung des schwerbehinderten Menschen vermuten lassen). Gleichzeitig ist aber danach ein Anspruch auf Einstellung ausgeschlossen und eine bloße Entschädigung in Geld vorgesehen. Bei bloß „formeller“ Diskriminierung, wenn also der schwerbehinderte Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ist der Schadensersatzanspruch auf drei Monatsverdienste beschränkt.
Fragerecht bei Einstellung - Offenbarung einer Schwerbehinderung
Ob eine anerkannte Schwerbehinderung bei einer Einstellung unaufgefordert zu offenbaren bzw. auf Nachfrage etwa in einem Personalbogen oder bei Vorstellungsgesprächen anzugeben ist, war früher umstritten. Nach ganz überwiegender Auffassung in der neueren Fachliteratur sowie der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist aber jedenfalls seit der gesetzlichen Neuregelung des Antidiskriminierungsrechts durch § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX n.F. in Verbindung mit dem AGG die „tätigkeitsneutrale“ Frage nach einer Schwerbehinderung (entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur alten Rechtslage vor dem 1. Juli 2001) unzulässig bzw. diskriminierend und darf daher, wenn sie gestellt wird (ähnlich wie die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft), ohne Rechtsfolgen auch dann verneint werden, wenn formell die Schwerbehinderteneigenschaft amtlich festgestellt ist. Zulässig bleiben aber weiterhin konkrete arbeitsplatzbezogene Fragen, die sich auf die gesundheitliche Eignung eines Stellenbewerbers für eine bestimmte Stelle und die damit ggf. verbundenen besonderen gesundheitlichen Anforderungen beziehen. Da aber dann zukünftig ein Arbeitgeber nicht mehr erfahren würde, ob und wie viele schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Menschen er beschäftigt und deshalb (bei jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen) verpflichtet bliebe, die gesetzliche Ausgleichsabgabe zu bezahlen, obwohl er die gesetzliche Beschäftigungsquote tatsächlich erfüllt, wird vereinzelt in der Fachliteratur eine Verpflichtung der Arbeitnehmer angenommen, die Tatsache ihrer anerkannten Schwerbehinderung jedenfalls nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit, nach der der besondere Kündigungsschutz greift, dem Arbeitgeber zu offenbaren.
Schwerbehindertenvertretung/Vertrauensperson
Schwerbehinderte Beschäftigte wählen eine Schwerbehindertenvertretung (§ 94 SGB IX), die neben dem Betriebsrat oder Personalrat die Interessen speziell dieser Beschäftigten wahrzunehmen hat.
Das Integrationsamt
fördert und sichert die berufliche Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt,
berät schwerbehinderte Menschen und ihre Arbeitgeber bei der Schaffung und Sicherung der Arbeitsplätze,
gewährt finanzielle Leistungen an schwerbehinderte Menschen und Arbeitgeber,
entscheidet unter Abwägung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen über Anträge auf Zustimmung zur Kündigung.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es durchaus auch vorbildliche Arbeitgeber gibt, die tatsächlich ihre Unternehmensziele dahingehend abgeändert haben oder entsprechende Firmen neu gründeten, in denen sie zum überwiegenden Teil schwerbehinderte Mitarbeiter beschäftigen. Dies sind dann, zwar wenige, aber doch sehr positive Beispiele die die Hoffnung im Herzen der Schwerbehinderten nicht so leicht absterben lassen.
Nun möchte ich zur Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von behinderten Menschen kommen. Diese Konvention ist insofern von großer Bedeutung, als dass sie nicht mehr vom Prinzip der Integration der behinderten Mitmenschen ausgeht, sondern von dem der Inklusion. Wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Formen der Eingliederung ist ein Umkehrprinzip. Ich möchte es mit folgendem Vergleich ausdrücken. Die Integration ging bisher von einer Notwendigkeit aus, die praktisch den behinderten Mitmenschen als den „Schuldner“ gegenüber der Gesellschaft ansah. Er musste durch geeignete Hilfsmittel und der Anpassung seiner Lebenssituation die Voraussetzungen für eine Eingliederung in die Gesellschaft schaffen. Dies ist nun nicht mehr so. Nun wird die Gesellschaft der „Schuldner“ gegenüber dem Behinderten. Sie ist nun verpflichtet sich auf die Gegebenheiten und Voraussetzungen des Gehandicapten einzustellen. Konkret sähe dies nun so aus, dass Kommunen, Behörden, Ämter grundsätzlich dazu verpflichtet sind, ihren Geschäftsbetrieb auf die verschiedenen Handicaps abzustellen. Es muss alles im täglichen Betrieb auf die Situation der Rollstuhlfahrer, der Gehörlosen, der Sehbehinderten usw. abgestellt sein. Bezogen auf die Privatwirtschaft haben sich die politisch Verantwortlichen mit ihrer Unterschrift unter dieses Dokument dazu verpflichtet darauf hin zu wirken, dass auch hier möglichst zügig, bei vorhandenen Möglichkeiten, der Geschäftsbetrieb und die Geschäftsräume auf die Bedürfnisse der behinderten Mitbürger umgestellt werden.
Dies findet sich in der Konvention unter:
Artikel 4
Allgemeine Verpflichtungen
(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte
und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung
aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten
sich die Vertragsstaaten,
a) alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur
Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen;
b) alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur
Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und
Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen;
c) den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit
Behinderungen in allen politischen Konzepten und allen Programmen zu berücksichtigen;
d) Handlungen oder Praktiken, die mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind, zu
unterlassen und dafür zu sorgen, dass die staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen
im Einklang mit diesem Übereinkommen handeln;
e) alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von
Behinderung durch Personen, Organisationen oder private Unternehmen zu ergreifen;
f) Forschung und Entwicklung für Güter, Dienstleistungen, Geräte und
Einrichtungen in universellem Design, wie in Artikel 2 definiert, die den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen mit möglichst geringem Anpassungs- und
Kostenaufwand gerecht werden, zu betreiben oder zu fördern, ihre Verfügbarkeit und Nutzung
zu fördern und sich bei der Entwicklung von Normen und Richtlinien für universelles Design
einzusetzen;
g) Forschung und Entwicklung für neue Technologien, die für Menschen mit
Behinderungen geeignet sind, einschließlich Informations- und
Kommunikationstechnologien, Mobilitätshilfen, Geräten und unterstützenden Technologien,
zu betreiben oder zu fördern sowie ihre Verfügbarkeit und Nutzung zu fördern und dabei
Technologien zu erschwinglichen Kosten den Vorrang zu geben;
h) für Menschen mit Behinderungen zugängliche Informationen über
Mobilitätshilfen, Geräte und unterstützende Technologien, einschließlich neuer Technologien,
sowie andere Formen von Hilfe, Unterstützungsdiensten und Einrichtungen zur Verfügung zu
stellen;
i) die Schulung von Fachkräften und anderem mit Menschen mit Behinderungen
arbeitendem Personal auf dem Gebiet der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zufördern, damit die aufgrund dieser Rechte garantierten Hilfen und Dienste besser geleistet
werden können.
(2) Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet sich
jeder Vertragsstaat, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im
Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die
volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen, unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus
diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind.
(3) Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen
Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen
Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die
Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit
Behinderungen, über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen
sie aktiv ein.
(4) Dieses Übereinkommen lässt zur Verwirklichung der Rechte von Menschen mit
Behinderungen besser geeignete Bestimmungen, die im Recht eines Vertragsstaats oder in
dem für diesen Staat geltenden Völkerrecht enthalten sind, unberührt. Die in einem
Vertragsstaat durch Gesetze, Übereinkommen, Verordnungen oder durch Gewohnheitsrecht
anerkannten oder bestehenden Menschenrechte und Grundfreiheiten dürfen nicht unter dem
Vorwand beschränkt oder außer Kraft gesetzt werden, dass dieses Übereinkommen derartige
Rechte oder Freiheiten nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß anerkenne.
(5) Die Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten ohne Einschränkung oder
Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaats.
Mit besonderem Interesse habe ich den Artikel 8 gelesen, dessen Bestimmungen sehr klar und deutlich formuliert sind und eine unverzügliche Umsetzung fordern. Bis heute jedoch immerhin schon fast drei Monate nach Inkrafttreten der Konvention habe ich von Regierungsseite noch nicht einmal ein Wort darüber gehört, dass diese Konvention für unser Staatsgebiet Geltung erlangt hat. Auch diesen Artikel möchte ich gerne vollständig bringen:
Artikel 8
Bewusstseinsbildung
(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sofortige, wirksame und geeignete Maßnahmen
zu ergreifen, um
a) in der gesamten Gesellschaft, einschließlich auf der Ebene der Familien, das
Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und
ihrer Würde zu fördern;
b) Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit
Behinderungen, einschließlich aufgrund des Geschlechts oder des Alters, in allen
Lebensbereichen zu bekämpfen;
c) das Bewusstsein für die Fähigkeiten und den Beitrag von Menschen mit
Behinderungen zu fördern.
(2) Zu den diesbezüglichen Maßnahmen gehören
a) die Einleitung und dauerhafte Durchführung wirksamer Kampagnen zur
Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit mit dem Ziel,
i) die Aufgeschlossenheit gegenüber den Rechten von Menschen mit
Behinderungen zu erhöhen,
ii) eine positive Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen und ein
größeres gesellschaftliches Bewusstsein ihnen gegenüber zu fördern,
iii) die Anerkennung der Fertigkeiten, Verdienste und Fähigkeiten von Menschen
mit Behinderungen und ihres Beitrags zur Arbeitswelt und zum Arbeitsmarkt
zu fördern;
b) die Förderung einer respektvollen Einstellung gegenüber den Rechten von
Menschen mit Behinderungen auf allen Ebenen des Bildungssystems, auch bei allen Kindern
von früher Kindheit an;
c) die Aufforderung an alle Medienorgane, Menschen mit Behinderungen in einer
dem Zweck dieses Übereinkommens entsprechenden Weise darzustellen;
d) die Förderung von Schulungsprogrammen zur Schärfung des Bewusstseins für
Menschen mit Behinderungen und für deren Rechte.
Nun sind mit dem heutigen Wahltag zum EU-Parlament sämtliche Kämpfe um Stimmen abgeschlossen. Auch hier in den Aussagen zu ihren Zielen vermisste ich bedenklich oft die Offenlegung der Zukunftsperspektiven für uns Menschen mit Behinderungen. Wir werden sehr gerne und sehr oft hier vergessen.
Besonders wertvoll finde ich den Artikel 10 der Konvention, der besagt:
Artikel 10
Recht auf Leben
Die Vertragsstaaten bekräftigen, dass jeder Mensch ein angeborenes Recht auf Leben
hat, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um den wirksamen und gleichberechtigten
Genuss dieses Rechts durch Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.
Wie sind wir bisher weltweit mit dem Recht auf Leben für behinderte Menschen umgegangen, wenn es die Vereinten Nationen für nötig erachten dies hier nochmals zu bekräftigen und die Umsetzung des gleichen Rechts für alle einfordern?
In den Artikeln und Ausführungen dazu geht die Konvention sehr genau auf eigentlich alle Bereiche des Lebens ein und fordert sozusagen die Gesellschaft dazu auf ihre Schuldigkeit endlich zu erfüllen und den Menschen mit Behinderungen ein barrierefreies und würdevolles Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Sie als gleichberechtigte Partner zu behandeln und die Geduld aufzubringen, auch über mehrere Hürden hinweg, deren Meinung und ihre Wünsche zu hören und zu würdigen. Vergleiche ich nun die bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten die wir hier in Deutschland schon geschaffen haben für eine bessere Integration behinderter Mitmenschen mit den Forderungen aus der Konvention, wird mir deutlich wie weit wir eigentlich noch von einer wirklich gleichberechtigten Gemeinschaft zwischen Nichtbehinderten und Behinderten entfernt sind. Es wurden gesetzliche Voraussetzungen für eine bessere Gemeinschaft geschaffen, doch sie zu ergreifen und umzusetzen haben tatsächlich nicht viele Nichtbehinderte gewagt. Ich erlebte es selbst, dass sogar die Arbeitgeber, die in ihren Berufsbildungswerken oder speziellen Werkstätten für Behinderte eine Ausbildung oder Qualifizierung für diese jungen Menschen anboten, nach deren Abschlussprüfung nicht einmal selber bereit waren sie in ihren eigenen Einsatzstellen zu beschäftigen. Der größte evangelisch-lutherische Arbeitgeber in Bayern, wenn nicht sogar bundesweit, lehnte mit der Begründung ab er habe nicht so viele Arbeitsstellen. Er wirbt auf seiner Homepage mit „ sind einer der führenden Träger der Diakonie in Deutschland. Mit mehr als 6200 voll- und teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern...“
Nun, ich stellte anfangs die Frage „Was könnte sich für die Behinderten ändern?“ Knallhart gesagt: „Gar nichts! Solange nicht die Barrieren in den Hirnen von Nichtbehinderten verschwinden“. Wir sehen es selbst an den gesetzlichen Bestimmungen zur Integration in Deutschland, die bereits seit gut 20 Jahren in breiter Ausprägung bestehen. Was hat sich Wesentliches geändert? Eigentlich kaum etwas. Diese Gesetze und die Konvention über die Rechte für Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen mit ihren 40 Seiten wird so gut wie gar nichts bewegen, solange noch auf den Straßen in unseren Städten, in den Büros und Arbeitshallen unserer Firmen, in den Bussen und Bahnen der öffentlichen Verkehrsbetriebe und in den Büros und Parteiversammlungen der Politiker in den Landesparlamenten und in Berlin, Sätze fallen wie „Gott sei Dank, kann man ja heute eine Behinderung schon frühzeitig vor der Geburt erkennen und entsprechend handeln!“ oder „sowas wie Dich hätt' mer früher weggmacht!“ oder die „freundschaftliche Liebkosung“ des Schulkameraden oder die Schulfreundin mit „Du bist ja behindert!“ nur um ihn oder sie zu beleidigen. Wer sollte da eigentlich beleidigt sein? Der oder Die, die „behindert“ genannt wurden? Oder die Personen, die eine Behinderung haben?
Ich möchte meine Ausführungen zu der Konvention und meinen teilweise selbst erlebten Schilderungen mit einem Appell schließen:
Macht sie weg!! Die Barrieren in Euren Hirnen gegenüber Menschen mit Behinderungen. Wenn die letzte Hürde dieser Art gefallen ist, dann werdet ihr plötzlich im Menschen gegenüber in den meisten Fällen jemanden äußerst liebenswertes und in allen Fällen jemand äußerst lebenswertes finden. Einen Menschen mit Besonderheiten, der aber keineswegs anders ist als Ihr selbst. Und der in vielen Fällen mehr Humor und Lebensfreude in sich trägt als mancher Nichtbehinderter! Wie hätte er auch sonst all die Barrieren in den Hirnen der Anderen überwinden sollen um zu überleben?
Und uns Behinderte möchte ich aufrufen mehr für unsere Rechte einzutreten und sie einzufordern wo es geht. Jede Gelegenheit zu nutzen um die Präsenz von uns zu zeigen. Wir sind hier geboren, wir leben in diesem Land, auf diesem Kontinent und auf diesem Planeten und das lassen wir uns nicht mehr streitig machen. Wir wollen hier nicht mehr allein überleben, wir wollen hier leben!
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